Ich denke wie ein Mann

Rotraud A. Perner. Das ist doch die kurzhaarige Dame, die im vorigen Jahrhundert öffentlich über Sex sprach. Und über Gewalt. Ist sie nicht Pfarrerin? Oder war sie einmal Politikerin?

Man bekommt viele Antworten, wenn man nach der vielseitigen Frau fragt.

Durch Widerstandskraft gestärkt werden

Ich habe Rotraud A. Perner kürzlich persönlich kennengelernt, bei einem Gespräch über ihre neu erschienene Autobiografie "Niemandsweib" im Pfarrhof Gaweinstal. Diese Frau hat mich beeindruckt. Ihr Arbeitspensum ist schier unglaublich - da rede ich noch gar nicht von den knackigen 8 Jahrzehnten ihres Erdenlebens - auch eine Dreißigjährige würde mich mit dieser Bandbreite und diesem Output ihrer beruflichen Tätigkeiten erstaunen. Gänzlich angetan war ich von ihrer Direktheit, kritische Themen konkret anzusprechen. Tabus gibt's bei ihr keine (mehr). Sie hat für sich gelernt: Wenn sie sich in einer Situation oder mit einer Aussage unwohl fühlt, spricht sie es an. Punkt. Wow.

Das spiegelt sich auch in ihrer Biografie: Mit einer nüchternen Offenheit, die mir manchmal fast weh tut, schreibt sie über Weggefährten und Mentoren, Freunde und Feinde, Anerkennung und Ablehnung, genützte Chancen und gläserne Decken. Strukturiert, Zusammenhänge und Entwicklungen erklärend, mit immenser Erinnerungsleistung bezüglich Namen, Ereignissen und Jahreszahlen.

"Die Entwicklung meines Gerechtigkeitssinns und meiner Wehrkraft möchte ich als Vermächtnis an Frauen weitergeben", erklärt Perner die Motivation für ihr 66. (!) Buch.  

 

12 Berufe in Perners Leben

Wie hat sie ihre beruflich Laufbahn von der Juristin über die Kommunalpolitikerin zur Psychotherapeutin und evangelischen Theologin kraftmäßig geschafft (um nur vier Berufe zu nennen)? Übrigens neben einer eigenen Familie mit zwei Söhnen.

"Ich war hungrig auf berufliche Entwicklung," sagt sie und: "Ich denke wie ein Mann, das ist in der Arbeitswelt ein Vorteil."

Als weiterhin aktiv praktizierende Psychotherapeutin und evangelische Pfarrerin im Ehrenamt verhilft sie anderen Menschen immer wieder zur Bewältigung schlimmer Erfahrungen und Schicksalsschlägen, so wie sie früher bei der Gründung des Kinderschutzzentrums "Die Möwe" oder in der Kommunalpolitik ihr soziales Engagement bewies.  Nach dem Durchtauchen von Krisen nicht verbittert oder krank zu werden und die Hoffnung nicht zu verlieren, sondern gereift und klüger daraus hervorzugehen, ist ihr erklärtes Ziel für sich selbst und andere. Perner ist übrigens im Weinviertel geboren und lebt heute wieder hier.

 

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Vor kurzem las ich ebenfalls Biografisches von Frauen. Wie verschiedenartig doch die Schreibstile dieser Autorinnen sind, und wie anders die Wahl der Schwerpunkte im Zuge ihrer Lebensrückblicke getroffen wurde. So spannend.

 

Ich las "Schwalbenschrift" und "Grenzland Zwischenland" von Ilse Helbich, die heuer 100-jährig verstorben ist. Welche Poesie! In Wort, Bildhaftem, Geruch, Geschmack, Gefühl. Sie schreibt so schön wie Malerei oder Musik sein kann, immer überstrahlt von der Suche nach Sinn, Wahrheit, Glaube, Geborgenheit. Und - freilich in ihren unvergleichlichen Worten - doch wieder das Thema wie bei Perner: Frauen, die gestutzt wurden. Denen Gewalt angetan wurde. Nicht ernst genommen mit den Begabungen, die sie hatten. Einsam, trotz Familie. Und auch Helbich wächst darüber hinaus, reift, erstarkt, triumphiert.

 

Und dann fiel mir noch "Das ewige Leben der Albaner" von Ornela Vorpsi in einem Abverkauf der Bücherei Gänserndorf in die Hände. Ein Titelbild, das ich lange anschauen musste: In einem völlig herabgekommenen Waschraum ist ausschnitthaft in einem kleinen Spiegel die Rückansicht einer jungen Frau zu sehen, sie trägt ein Festtagskleid, das im Kontrast zum tristen, weißgefliesten Raum steht. Die Autorin schreibt über eine junge Frau im kommunistischen Albanien, mit autobiografischen Zügen. Mädchen wuchsen damals in diesem Land damit auf, dass sie schön sein mussten. Um Männern zu gefallen. Und gleichzeitig wurde ihnen wieder und wieder eingetrichtert: "Ein hübsches Mädchen ist eine Hure, ein hässliches - die Ärmste! - ist keine." Diejenigen, die das mantra-artig von sich gaben, waren Mütter, Großmütter oder Tanten, also Frauen. Die Unterdrückung von Frauen in einer Männergesellschaft funktioniert nur dadurch, dass sich Frauen unsolidarisch zu ihren Geschlechtsgenossinnen verhalten, wurde mir dabei wieder klar.

 

Also: Stärke deine Nachbarin! Unterstütze deine Kollegin! Ermutige ein Mädchen! Danke einer älteren Frau. Sei Vorbild.

 

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